Jugend hackt ist ein Programm für junge Menschen, die mit ihren technischen Fähigkeiten die Welt verbessern wollen. Unterstützt von ehrenamtlichen Mentor:innen entwickeln die Teilnehmer:innen digitale Werkzeuge, Prototypen und Konzepte für eine bessere Zukunft. Getragen wird die Initiative von der Open Knowledge Foundation und dem Verein Mediale Pfade. Sonja Fischbauer ist eine der Programmleiterinnen.
Ein Remote-Hackathon von Jugendlichen für Jugendliche
netzpolitik.org: Die aktuelle Situation ist für viele Menschen sehr herausfordernd. Wie geht es euch und den Jugendlichen aus der Jugend-hackt-Community?
Sonja Fischbauer: Die Jugendlichen in der Community sind motiviert und wollen was tun. Dadurch, dass ihnen auch neben den Hausaufgaben und Zeit mit der Familie noch viel Freizeit bleibt, ist vielen langweilig. Sie wollen diese Zeit nutzen, um etwas Sinnvolles zu tun. Natürlich sind viele auch enttäuscht, dass unsere Hackathons auf unbestimmte Zeit ausfallen. Deshalb sind unsere Online-Angebote für sie nicht nur ein inhaltlicher Ersatz, sondern auch wichtig für das soziale Miteinander. Wir im Team haben uns inzwischen gut eingespielt in der reinen Remote-Zusammenarbeit.
netzpolitik.org: Jugend hackt lebte bisher von Vor-Ort-Veranstaltungen. Was bedeuten die Kontakteinschränkungen für euch?
Sonja Fischbauer: Unsere ganze Jahresplanung hat sich umgestellt: Wir hatten dieses Jahr insgesamt elf Hackathon-Events in Deutschland, Österreich und der Schweiz geplant. Monatliche Workshops sollten in unseren lokalen Jugend-hackt-Labs stattfinden. Wir wären als Mitveranstalterin einer internationalen Jugend-Convention mit dem Goethe-Institut nach Bangkok gereist. Die Convention ist schon abgesagt, die Labs machen ihre Termine soweit wie möglich online. Einige Events können wir ans Jahresende verschieben, aber auch da stellen wir uns darauf ein, Alternativen anzubieten.
Aber es sprießen gerade auch total viele Ideen, und wir entwickeln neue Online-Formate. So ist zum Beispiel schon Mitte März unser erster Remote-Hackathon über die Bühne gegangen.
netzpolitik.org: Wie kam es zu diesem Remote-Hackathon?
Sonja Fischbauer: Das kam durch eine Idee von Jugendlichen aus unserer Community zustande, die wir aufgegriffen und unterstützt haben. Am 15. März schrieb Liv, eine 18-jährige Teilnehmerin von uns, in der Online-Community, dass sie Lust hätte, einen Jugend-hackt-Hackathon von zuhause zu machen. Der Idee haben sich weitere Jugendliche angeschlossen, und ein fünfköpfiges Jugend-Organisationsteam hat sich gebildet.
Das ist gerade jetzt unsere Rolle: Die Jugendlichen wenden sich an uns, die Jugend-hackt-Gemeinschaft, die sie kennen und in der sie sich wohlfühlen. Und wir sind für sie da. Wir vom Team standen ihnen zur Seite, haben die Infrastruktur und den Rahmen bereitgestellt, so dass daraus unser erster offizieller Online-Hackathon geworden ist. Knapp zwanzig Jugendliche, unterstützt von rund zehn Mentor:innen haben drei Projekte entwickelt, und auf der Abschlusspräsentation im Livestream vorgestellt.
Unterricht auf Discord
netzpolitik.org: Die Corona-Krise macht die schon bekannten Schwächen des Schulsystems bei der Bildung mit digitalen Mitteln und für digitale Kompetenzen besonders sichtbar.
Sonja Fischbauer: Unser wichtigster Appell an Schulen und Lehrende: Bezieht die jungen Menschen ein, hört ihre Ideen für die Gestaltung des Unterrichts und nutzt ihre technischen Kompetenzen. Diese sind nämlich oftmals fundierter als die der Lehrer:innen. Wir erleben immer wieder, dass Junghacker:innen die IT der Schule mitgestalten wollen. Wo das angenommen wird, entstehen super Sachen. Eine Jugend-hackt-Teilnehmerin hat zum Beispiel gleich zu Beginn der Schulschließungen einen Discord-Server für ihre Schule aufgesetzt.
netzpolitik.org: Was müsste eurer Meinung nach am dringendsten passieren?
Sonja Fischbauer: In der Schule lernen Schüler:innen häufig nicht, selbstgesteuert zu arbeiten – das fällt jetzt als Problem auf, ist aber auch nicht neu. Das Bildungssystem braucht ein zeitgemäßes Verständnis für Wissensvermittlung, muss das Erleben von Selbstwirksamkeit fördern. Dabei geht’s um kommunikative Kompetenzen, das Zusammenarbeiten, selbstbestimmtes Denken und das Tüfteln an Lösungen. Auch außerschulische Programme spielen hier eine Rolle. Sie müssen dementsprechend gefördert werden.
Die Mängel und Unterschiede der IT-Infrastruktur von Schulen treten jetzt zudem stark hervor. Schulen brauchen fähige Systemadministrator:innen, um beispielsweise Videocall-Programme wie Big Blue Button oder Lernplattformen wie Moodle einzurichten – wenn es die nicht gibt, müssen sie angeheuert werden. Auch Kooperationen mit lokalen Hackspaces können hier helfen. Und natürlich gehören die Toolkompetenzen der Lehrenden gestärkt. Lehrende brauchen eine Übersicht für die digitalen Tools, die sie verwenden können, zum Beispiel digital bearbeitbare Arbeitsblätter statt runterladen, ausdrucken, ausfüllen, abfotografieren und hochladen.
netzpolitik.org: Tech-Communities sind nicht unbedingt für ihre einfache Zugänglichkeit bekannt. Ihr legt besonderen Wert auf Inklusion. Wollt ihr auch digital neue Leute ansprechen und wie?
Sonja Fischbauer: Ja, mit dem Thema beschäftigen wir uns gerade viel. Die derzeitige Situation verschärft die Ungleichheiten, die schon bestehen und hängt Jugendliche, die eh schon wenig Zugang zu technischer Bildung haben, noch weiter ab. Wir bieten Formate an, bei denen es sich leicht einsteigen lässt: Wir gucken etwa gemeinsam im Livestream auf Twitch einen kurzen Vortrag zu Open Data und sprechen dann darüber.
Mit unseren Mentor:innen zeigen wir vielfältige Rollenbilder jenseits von Stereotypen. Wir reservieren Diversity-Plätze für Jugendliche, die sonst geringe Bildungschancen im Technik-Bereich vorfinden. Unser Code of Conduct gilt auch in allen Online-Angeboten. Und ganz wichtig, um ein Angebot niederschwellig zu machen, ist der soziale Aspekt: Wir nehmen uns Zeit zum Kennenlernen, machen kleine Spiele zwischendurch und planen Pausen zum Quatschen ein. Bei allen neuen Entwicklungen achten wir darauf, dass unsere Community weiterhin ein Schutzraum bleibt, in dem sich alle willkommen, geschätzt und sicher fühlen.
Meetings ohne Kamera- und Klarnamen-Zwang
netzpolitik.org: Eine Herausforderung ist für viele momentan, dass sie für digitale Veranstaltungen auf proprietäre Infrastrukturen angewiesen sind – oft mit zweifelhafter Bilanz bei Datenschutz oder IT-Sicherheit. Wie geht ihr damit um?
Sonja Fischbauer: Wir verwenden soweit weit wie möglich selbst gehostete Open-Source-Lösungen. Für Videocalls haben wir eine eigene Jitsi-Instanz eingerichtet und testen gerade Big Blue Button.
Wenn das nicht möglich ist und wir proprietäre Programme einsetzen, dann folgen wir dafür einigen Best-Practice-Regeln. Im Fall von Zoom bedeutet das: Wir zwingen niemanden, das Programm auf dem eigenen Rechner zu installieren. Es gibt eine Variante, mit der sich das Tool auch im Browser nutzen lässt. Teilweise funktioniert das auch ohne Account. Wir nutzen nicht die Standard-Raum-ID, wählen ein langes Passwort und nutzen die Tracking-Funktion nicht. Das kommunizieren wir auch vorab allen Teilnehmer:innen.
Und bei egal welchem Tool gilt bei uns: Wir pflegen eine Meeting-Kultur, in der jede:r die eigene Kamera ausschalten und einen Nickname verwenden kann, je nach Belieben. Wenn wir streamen oder Screenshots machen – also Veranstaltungsfotos – dann gilt auch hier das No-Photo-Recht, und wir nehmen nur Leute auf, die das explizit wollen.
netzpolitik.org: Bis wieder größere Veranstaltungen stattfinden dürfen, wird es ja noch eine Weile dauern. Wie geht es für euch weiter?
Sonja Fischbauer: Wir feilen an unseren Online-Angeboten; auf jugendhackt.org könnt ihr nachschauen, wann unsere nächsten Termine sind! Gleichzeitig planen wir, so gut es nun mal geht, auch für die Zeit danach. Damit das Ganze auch möglich wird, suchen wir Sponsor:innen, Fördergeber:innen und Spender:innen, die uns dabei unterstützen. Fest steht: Wir machen weiterhin Programm. Unser Angebot ist wichtig und relevant, die Jugendlichen wenden sich an uns und wir sind für sie da. Genau diese gesellschaftspolitische Verantwortung, für die Jugend hackt steht, kommt jetzt zum Einsatz.
Was mich ehrlich gesagt bei diesem Thema etwas irritiert, ist – warum haben die das mit den Online-Meetings nicht schon von Anfang gemacht? Von Inklusion plappern, aber selber keine betreiben bzw. nur, wenn die Umstände einen dazu zwingen?
Let’s face it: Der gemeine Geek oder Nerd, der tagelang hinter der Kiste verbringt, und im Bestfall 1 – 2 Freunde IRL hat – dafür die ganze Welt online – kommt mit hoher Wahrscheinlichkeit NIEMALS zu irgendeiner IRL-Veranstaltung.
cu, w0lf.